Mika Noé
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Schon früh erkennt Mika Noé: Musik ist mein Safe Space. Geschützt vor der Welt und verbunden mit ihr, sieht er beim Texten von Songs seine Gedanken aufsteigen, „visualisiert können die Worte in der Zeit, in der ich reflektiere, nicht wegfliegen, sie bleiben auf dem Papier und halten mir den Spiegel vor“. Hier kann und darf er alles – und Mika Noé sieht auch alles.
Seine junge Seele weiß, wie es ist, sich aus Scham zu verleugnen, über sieben Jahre hält er geheim, dass er wegen ADHS Medikamente nimmt. Angstzustände, Stimmen, Ticks, Stechen in der Brust. Geist und Körper sind unruhig. Vor zwei Jahren lässt er die Maske fallen, „was soll mir jetzt noch passieren, wenn ich schon alles über mich weiß?!“. In knallharter Konfrontation mit seinem Selbst beweist er Mut und sagt: „Transparenz ist der Moment, in dem man richtig stark wird.“ Genau da hilft ihm seine Musik: Ein Raum, den er sich selbst erschreibt, in dem er selbstbewusst umherstreift, den er gestaltet.
Nach der Schule will Mika Noé Tischler werden, aber eine zufällige Begegnung bringt ihn im Frühling 2023 dazu, der Welt einen Song über Social Media zu zeigen. In kürzester Zeit bewegt sich das Lied immer schneller durchs Internet. Menschen sind berührt von Mika Noé‘s rauer Wärme, in Tonlage und Wort, Traurigkeit in der Bottomline und Trost, ohne den Schmerz einfach wegwischen zu wollen. In „vermiss nicht mehr“ erzählt der Musiker von einem gebrochenen Herzen. Mika Noé meint jeden Satz ernst, seine unmittelbare Lässigkeit macht ihn aber so zugängig, dass man nicht nur mitfühlt, sondern gleich mit ihm und seinen Freunden durch die Stadt ziehen will.
Hier könnte jetzt stehen: ‚Abbrecher wird zu Musiker.‘ Und auch wenn es stimmt, passt das Leben unter Headlines nicht zu ihm. Lieber erzählt Mika Noé, aufgewachsen in Berlin, was für ihn Text und Holz vereint: formbar und prozesshaft. Ihn fasziniert es, aus Nichts etwas zu erschaffen, Unikate. „Ein Brett ist wie eine Note in der Musik, du kannst alles draus machen.“ Natürlich gibt es Millionen Tische und Tausende Songs übers Scheitern, nur „solange du ehrlich bist, ist es immer was Neues, weil niemand so ist wie du“.
Gerade das vermeintlich Banale interessiert Mika Noé, weil er damit sichtbar macht, was viele kennen, aber aus Gewohnheit übersehen. Immerhin ist Alltäglichkeit, was uns pausenlos formt. In seiner Musik erzählt er nicht nur von den Zuständen, in denen er sich befindet, er gibt mit den Texten auch anderen Stimme und Worte an die Hand. Mit Bildern jonglierend benennt er in seinen Zeilen, was im Dazwischen steckt, was unter Gedanken begraben liegt.
Dieser markant bassige Grundton strömt extrem unprätentiös aus ihm heraus. Ein Singen, das nach poetischen Ausrufen klingt, aber nie nach Ausrufezeichen. Im Hoodie alles aus sich raussingen. Seine raue Stimmfarbe passt zum Gedanken, dass er seinem Kern durchs Musikmachen immer näher kommt, seinen Gefühlen, auch die zu sich selbst. In einer selbstermächtigten, (sich) selbstbewussten Weise schreibt er seine Erzählung, weil: „Liegt die Übung nicht darin, die eigene Geschichte selbst zu spinnen?“
Seine unaufgeregte Erzählkunst, die Deutung des eigenen Lebens, der Kontakt zu den Dingen, die ihn umgeben – Mika, gerade mal 20 Jahre, darf das Wörtchen ‚authentisch‘ vereinnahmen, ohne danach zu fragen. Der Musiker schwebt über manifestierte Bilder hinweg, lässt sich dabei aber noch immer unentwegt berühren. Knietief stürzt er sich in seine Emotionen und Geisteszustände, vor denen andere sich lieber ihr Leben lang verstecken, während er in neu gewonnener Klarheit weitermacht.
Mika Noé erzählt sich der Musik und lässt sich durch sie erzählen; für ihn hat sie eine therapeutische Dimension, die ihn daran erinnert, seinen Gedanken weiter Raum zu geben, echt zu sein. Und vielleicht erinnert er ja auch andere daran. Wer Mika Noé‘s Musik hört, kann nicht nur ihn, sondern auch sich selbst ein bisschen besser kennenlernen.